Entspannung von Alltags- und Geldsorgen findet Heike Hartl beim Häkeln. Foto: -ziz-
Von Doris Zitzelsberger
Bad Kötzting. In Kartons stapeln sich dicke Wollknäuel in allen Farben. Heike Hartl liebt es, zu häkeln. „Das ist für mich die beste Entspannung“, erzählt sie und zeigt auf ihre jüngsten Werke: Melonen, Orangen und Äpfel für das Kinderhaus in Bad Kötzting. Oder die Fingerpuppe „Buu“ – von diesem Exemplar hat sie ehrenamtlich rund 100 Stück gefertigt, als Leselernhilfe für Grundschüler. „Mir macht das Handarbeiten Spaß – und noch schöner ist es, wenn ich anderen damit eine Freude bereiten kann.“
Schon mehr verschmerzt als einen Knochenbruch
Heike Hartl ist 38, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern im Alter von sieben und zehn Jahren. Sie lebt von Hartz 4 und Kindergeld, und verdient sich als Putzhilfe etwas dazu. Nach etlichen Operationen an ihren Hüften fällt ihr das Gehen schwer, vor ein paar Monaten stürzte sie und zog sich dabei einen komplizierten Bruch des rechten Ellbogens zu. Es ist nicht klar, ob der Arm jemals wieder so beweglich wird wie vor dem Unfall.
„Ich hab schon mehr verschmerzt als einen gebrochenen Knochen“, sagt sie, während sie Instantkaffee in einen Becher löffelt und kochend heißes Wasser nachschüttet.
Als sie ein kleines Kind war, drehte sich in der Familie alles um die vier Jahre ältere Schwester, die unter starken Schmerzen in den Gelenken litt. Die Ärzte vermuteten Wachstumsschmerzen oder Hüftschnupfen, bis eines Tages der Hüftknochen aus dem Gelenk rutschte, was irreparable Schäden hinterließ. „Ihre Hüfte musste versteift werden, seitdem kann sie ein Bein nicht mehr bewegen.“
Der Schicksalsschlag bedeutete für Heike Hartl Glück im Unglück. Wie bei ihrer Schwester, hat sich auch bei ihr die Wachstumsfuge im Hüftgelenk nicht geschlossen, eine erblich bedingte Krankheit. Weil sie zum Zeitpunkt der Diagnose zwölf war, konnten die Ärzte noch gegensteuern und eine Versteifung verhindern. Für das Mädchen bedeutete das drei Jahre lang eine Operation nach der anderen, bis beide Hüftgelenke verschraubt waren.
Die Ehe ihrer Eltern zerbrach an den vielen Klinikaufenthalten der Töchter, der Vater wurde Alkoholiker, die ältere Schwester brach den Kontakt ab. Vielleicht, weil der familiäre Rückhalt fehlte, stürzte sie sich mit 19 in eine Ehe, die bereits zwei Jahre später geschieden wurde.
Mit 30 Jahren kaputte Hüften wie eine alte Frau
„Aber ich bin ein Stehaufmännchen“, sagt die gebürtige Paderbornerin. Sie zog einen Schlussstrich und wollte möglichst viel Distanz zu ihrem Geburtsort schaffen. Im Bayerischen Wald fand die gelernte Lageristin Arbeit und lernte ihren künftigen zweiten Ehemann kennen. Auch er Lagerist, zusammen zogen sie nach Salzburg, wo beide bei der Metro arbeiteten. Als Heike Hartl schwanger wurde, zog das Paar nach Bad Kötzting, in die Heimat ihres Ehemannes.
Die beiden dürfen sich über zwei gesunde Kinder freuen, trotzdem bleibt der Alltag nicht ungetrübt. „Mit 30 hatte ich fortgeschrittene Arthrose und Hüften wie eine alte Frau“, berichtet sie. 2016 erhielt sie das erste künstliche Hüftgelenk, 2018 das zweite. Ihr Mann hatte erst mit einem kaputten Knie zu kämpfen, dann folgten mehrere Bandscheibenvorfälle und irgendwann die Arbeitslosigkeit.
Auch die zweite Ehe scheiterte
Auch die zweite Ehe scheiterte, ihr Mann ist mittlerweile ausgezogen, in ein paar Monaten steht der Scheidungstermin an.
Weil die Familie von Sozialhilfe lebt, muss jeder Cent mehrfach umgedreht werden. Wünsche gebe es viele. Ein langgehegter von Heike Hartl lautet: eine „anständige“ Küche. „Der Kühlschrank ist wie die gesamte Küche 23 Jahre alt, der macht’s nicht mehr lange. Der Geschirrspüler geht schon lange nicht mehr, wer weiß, wie lange der Herd noch funktioniert.“ Sie deutet auf die schiefe, provisorisch zusammengewürfelte Küchenzeile. „Wenn ein bisschen Geld übrigbleibt, wird ein Schränkchen nach dem anderen erneuert.“
Luxus: Mit den Kindern ins Schwimmbad gehen
Was für viele Familien selbstverständlich ist, gilt im Hause Hartl als Luxus. Wie zum Beispiel ein Besuch im örtlichen Schwimmbad Aqacur. „Eigentlich ist der Eintritt für uns drei zu teuer“, räumt sie ein, „aber nachdem meiner Tochter schon zweimal die Kniescheibe rausgesprungen ist, hat der Krankengymnast dringend empfohlen, regelmäßig Schwimmen zu gehen und so die Muskulatur zu stärken.“
Entspannung von Alltags- und Geldsorgen findet sie abends beim Häkeln. Zurzeit entstehen dabei flauschige Rentierkugeln. „Die machen sich am Weihnachtsbaum doch gut, oder?“