Der Mann mit den zwei Ge­sich­tern

Eine Mut­ter und ihre Toch­ter lei­den unter der Kon­troll­sucht des ge­walt­tä­ti­gen Va­ters

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Susanne M.s Expartner wollte immer das Sagen haben, selbst nach der Trennung versuchte er die 39-jährige Mutter noch zu dominieren. Als sie es nicht mehr zuließ, ließ er seine Wut an ihrer gemeinsamen heute sechsjährigen Tochter aus. Bildautor: dpa/Patrick Pleul

Von Franziska Hofmann


Zum ersten Mal im Alter von drei Jahren ist Marie M. mit Striemen und einer roten Wange nach Hause gekommen. Als Susanne M. ihre Tochter fragt, was passiert ist, antwortet sie nicht: „Das darf ich nicht sagen, ist ein Geheimnis“, sagt die Dreijährige nur, als sie vom Besuch bei ihrem Vater zurückkommt. Zu diesem Zeitpunkt sind Susanne M. und ihr Expartner schon fast drei Jahre getrennt. Die Beziehung ist circa zwei Monate nach der Geburt ihrer Tochter in die Brüche gegangen, erinnert sich M.: „Er hat kaum Interesse an seinem Kind gezeigt“, erzählt die 39-Jährige im LZ-Gespräch. „Für ihn hat sich nichts geändert, während sich für mich mein ganzes Leben geändert hat.“


Dennoch besteht er nach der Trennung auf den Kontakt und regelmäßige Treffen mit seiner Tochter. „Dabei ging es ihm nie um sie, er wollte dadurch nur an mich rankommen“, so Susanne M. Die 39-jährige Mutter kann sich vor Whatsapp-Nachrichten, seitenlangen E-Mails und Anrufen kaum mehr retten. Am Anfang habe sie noch geantwortet – „Man hat das Gefühl, man ist ihm Rechenschaft schuldig“ – dann hat sie versucht, ihn zu ignorieren.


Schon vor diesem Vorfall ist Marie hin und wieder mit blauen Flecken und kleineren Abschürfungen nach Hause gekommen. Damals glaubte M. noch daran, dass das beim Spielen passiert sein musste. Jetzt nicht mehr: Als die 39-Jährige den Vater ihrer Tochter auf die Verletzung ihrer gemeinsamen Tochter anspricht, leugnet der Vater, dass etwas passiert sei. „Er sagte, das sei beim Schlittenfahren passiert und der rote Abdruck sei nur der Kälte wegen“, sagt die 39-Jährige. Geglaubt hat sie ihm nicht.


Susanne M. wandte sich schließlich ans Jugendamt. Aber auch im gemeinsamen Gespräch, dass die Sozialarbeiter ansetzten, leugnete der Vater, seine Tochter verletzt zu haben. Zu dieser Zeit wurde Marie zum ersten Mal auffällig. Im Kindergarten zeigte sie sich aggressiv gegenüber den anderen Kindern: „Sie war plötzlich ein völlig anderes Kind als zuvor“, erzählt ihre Mutter im LZ-Gespräch.


Damals hat Susanne M. endgültig den Kontakt abgebrochen und dem Vater verweigert, seine Tochter zu sehen. Jetzt wünschte sie, sie hätte es schon vorher getan. Ihr Expartner wehrte sich dagegen, überhäufte die Familie mit Anrufen, E-Mails und SMS-Nachrichten, als das alles erneut nichts half, versuchte er schließlich, mit einem Gerichtsverfahren, den Umgang mit seiner Tochter einzufordern. „Vor Gericht zeigte er ein völlig anderes Gesicht“, erzählt Susanne M. „Er tat immer wahnsinnig besorgt, das war eine tolle Bühne für ihn.“ Und hatte damit Erfolg: Das Gericht ordnete schließlich betreute Treffen alle zwei Wochen für zwei Stunden an. M.s Tochter, die mittlerweile sechs Jahre alt ist, ging es zu diesem Zeitpunkt wieder schlechter: „Sie hatte Alpträume und sagte mir immer, sie will ihren Vater nicht sehen. Wenn es um die Treffen ging, hat sie immer geweint und geschrien“, so Susanne M.

Zwischentitel: „Die Kontrolle über mich, das ist das, was er will“
Mittlerweile stehen M. und ihr Expartner in dieser Sache schon zum zweiten Mal vor Gericht. Es soll ein Gutachten darüber erstellt werden, ob von ihrem Vater tatsächlich eine Gefahr für die mittlerweile Sechsjährige ausgeht. Den Vater ihrer Tochter vor Gericht zu sehen ist für die 39-Jährige die Hölle, wie sie gegenüber der LZ zugibt: „Ich habe gelernt, mir meine Gefühle nicht mehr anmerken zu lassen“, so M. „Denn das ist ja genau das, was er will, die Kontrolle über mich. Stattdessen versuche ich ihn nicht einmal anzusehen, wenn wieder ein Gerichtstermin ansteht. Ich konzentriere mich stattdessen auf den Richter oder den Staatsanwalt.“


Dabei war ihr Partner ihr gegenüber nicht immer so. „Ich bin ja nicht verrückt, ich hätte mich nicht in ihn verliebt, wenn er schon immer so cholerisch und dominant gewesen wäre“, sagt die 39-Jährige. Sein anderes Gesicht hat er ihr erst nach und nach gezeigt: „Er musste schon immer recht haben, wenn ich anderer Meinung war als er, gab es viel Geschrei und Streit. Aber darüber habe ich bis zu einem gewissen Punkt noch hinwegsehen können.“


Richtig gefährlich wurde es erst, als die Beziehung bereits beendet war. „Dann ist sein Zwang, mich zu dominieren ausgeartet und er hat es an unserer Tochter ausgelassen“, so M. Mittlerweile ist die 39-jährige Mutter bei der LIS (Landshuter Interventionsstelle bei häuslicher und sexueller Gewalt) in Beratung.


Ihre Tochter Marie ist mittlerweile schon bei der dritten Psychiaterin zur Therapie – die ersten beiden hat ihr Vater vergrault, davon ist M. überzeugt. „Er hat alle Psychologen, Gutachter und Psychiater ausfindig gemacht und sie ebenso mit Anrufen terrorisiert, wie mich. Die haben irgendwann Angst bekommen.“ Anderen Menschen gegenüber kann M.s Expartner sich bis zu einem gewissen Punkt beherrschen. „Die Menschen, die ihn nur oberflächlich kennen, denken wahrscheinlich ich bin die böse Mutter, die ihre Tochter vor ihrem besorgten Vater fernhalten möchte“, sagt die 39-Jährige. Lange hat sie sich daher nicht getraut, sich jemandem anzuvertrauen.


Jetzt bei der LIS, soll Susanne M. lernen, neben der Arbeit, den Therapie- und Gerichtsterminen und der Sorge um ihre Tochter, auch wieder an sich selbst zu denken. „Es fällt mir schwer, meine Gedanken kreisen den ganzen Tag nur um das was war und wie ich meine Tochter in Zukunft besser beschützen kann“, so M. Ihr größter Wunsch, das sagt die 39-Jährige gegenüber der LZ, ist, dass endlich Ruhe ist: „Meine Tochter soll in Ruhe groß werden können, ohne die ständige Angst vor ihrem Vater.“


Vorher muss M. allerdings das Gutachten des Gerichts abwarten. Dieses muss die alleinerziehende Mutter selbst bezahlen, ebenso wie die Termine ihrer Tochter bei einer Psychiologin und ihre eigenen Anwaltstermine. Ein gutes, davon ist M. überzeugt, hat das Gerichtsverfahren aber: „Während das Verfahren noch läuft, ist der Umgang aber zumindest ausgesetzt“, so die 39-Jährige. „Marie muss ihren Vater also zumindest zum jetzigen Zeitpunkt nicht sehen.“