„Es ist je­mand da, der zu­hört und mir glaubt“

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Das Mahnmal nach einem Vorbild aus Wien steht gegenüber dem Regensburger Bahnhof. Es wurde am 8. März 2000, dem Weltfrauentag, aufgestellt und zeigt die Telefonnummer des Frauennotrufs. (Foto: Frauennotruf)

06. Dezember 2014

Der Frauennotruf bietet Beratung für Frauen und Mädchen, die missbraucht wurden

Von Bettina Dostal

Regensburg. Magdalena Meier (Name geändert) hatte den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater in der Kindheit jahrelang verdrängt. Niemand wusste davon. Als sie im Studium plötzlich Schlafstörungen bekam, sich auf das Lernen nicht konzentrieren und die Erinnerungen nicht mehr aus ihrem Kopf verdrängen konnte, merkte sie, dass sie sich mit den Ereignissen aus der Vergangenheit auseinandersetzen musste. Ihrem Freund erzählte sie davon. Der bestärkte sie, sich beim Frauennotruf beraten zu lassen.

Für Magdalena Meier war es der richtige Weg, den Vater, zu dem sie ein gutes Verhältnis gehabt hatte, mit dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs zu konfrontieren. Ohne zu wissen, was dieser Schritt in der familiären Beziehung zwischen Vater, Mutter und Bruder auslösen würde. Es war für sie eine Selbstbefreiung. In diesem Fall der richtige Weg, schildert Petra Siegrün, die Leiterin des Frauennotrufs in Regensburg den positiven Verlauf.

Es sind in den meisten Fällen Frauen, die in ihrer Kindheit sexuellen Missbrauch erfahren haben, die sich an den Frauennotruf wenden. Meist können sie selbst ihr Problem nicht genau definieren. Sie erkennen nur, dass sie ihr Leben nicht mehr im Griff haben und Hilfe brauchen. Meist sind es einschneidende Erlebnisse im Leben der erwachsenen Frau, die plötzlich die Erinnerungen aus der Kindheit wieder wecken. Petra Siegrün und ihre Kollegin Andrea Erl bieten innerhalb einer Woche einen telefonischen oder persönlichen Beratungstermin an. „Wir machen es den Frauen leicht, sich bei uns zu melden", erklärt Siegrün. Sie bleiben völlig anonym, können die Beratung jederzeit abbrechen und wissen, dass sie qualifizierte Hilfe bekommen. Die Gespräche werden nicht dokumentiert. Meist haben sich die Frauen einen Namen ausgedacht, der im Kalender der Beratungsstelle steht. Unbekannt ist auch ihre Herkunft. Aber das Einzugsgebiet ist groß, das weiß Siegrün, es reicht von Kelheim bis Straubing.

Die Beratungsstelle in der Alten Manggasse 1, einem Altbau mit türkisem Treppengeländer und knarzendem Holzfußboden, empfängt den Besucher mit freundlicher Atmosphäre. Das bestätigen auch die Frauen, die manchmal nur einmal, meist aber über einen längeren Zeitraum zum Gespräch kommen. „Jede Situation ist individuell", erklärt Siegrün. Die meisten Frauen haben Schuld- und Schamgefühle. Fragen sich, warum ausgerechnet sie missbraucht wurden, warum sie sich nicht gewehrt haben, warum sie so hilflos waren. Die Erkenntnis, dass es damals für das Kind gar nicht möglich war, sich selbst zu helfen, weil der „Täter" so mächtig war, ist ein wichtiger Prozess im Verlauf der Gespräche. Meist waren nahe Angehörige die „Täter". Menschen, die das Kind gern gehabt hat und denen es vertraute. „Heute den Missbrauch in der Familie anzusprechen, stürzt alle Beteiligten in eine Krise", sagt Siegrün. Das traut sich nicht jede Frau zu. „Für manche ist es auch der bessere Weg, den Kontakt einfach abzubrechen". Die Diplom-Pädagogin gibt den Frauen im Gespräch viel Zeit. Für beide sei klar, „man muss erst mal nichts von dem Missbrauch erzählen, man kann mit etwas beginnen, das leichter ist". Es sei wichtig, herauszufinden, was der Klientin guttut. Was sie sich zutraut. „Ich schlage nicht Dinge vor, die sie nicht leisten kann." Den Frauen hilft es, dass jemand da ist, der ihnen glaubt. Dass jemand zuhört, ohne Schuldzuweisungen. Sie merken, dass auch andere in eine solche Situation gekommen sind.

Seltener melden sich beim Frauennotruf Frauen oder Mädchen, die kürzlich vergewaltigt wurden. Meist passiert das innerhalb der Familie oder im nahen Verwandtenkreis. Die Betroffenen schweigen darüber, weil sie fürchten, selbst in die Kritik zu geraten. Wem so etwas passiert, der ist doch auch selbst mit schuld, ist ein Vorurteil. „Ist der eigene Partner übergriffig geworden, sollten die Frauen versuchen, die Situation durch Gespräche zu bessern", sagt Siegrün. Wenn sie sich von dem „Täter" distanzieren, verlieren sie auch ihren Freundeskreis und ihr Umfeld. „Das ist oft keine leichte Entscheidung".

Die Diplom-Pädagogin Siegrün arbeitet bereits seit 1996 für den Frauennotruf. Zuerst ehrenamtlich und als Praktikantin. Seit 2001 als Leiterin. Sie empfindet die Beratung nicht als belastend. Vielmehr als eine schöne Aufgabe, die Frauen bei einem guten Prozess zu begleiten. Sie lerne die Frauen nicht nur als Opfer, sondern mit ihren Begabungen und Talenten kennen und können helfen, sie zu stärken und weiterzuentwickeln. Im vergangenen Jahr wurden beim Frauennotruf 915 Gespräche geführt. Es waren 260 Menschen, die beraten wurden. Nicht immer rufen die Betroffenen selbst an. Manchmal informieren sich auch Angehörige oder Freunde, wenn sie helfen möchten oder einen Verdacht haben.

Zwei Selbsthilfegruppen gibt es derzeit, die sich einmal in der Woche treffen. Die Beratungsstelle finanziert sich durch Mittel des Bayerischen Sozialministeriums, der Stadt und des Landkreises Regensburg und einem Eigenanteil von 30 Prozent. „Um den Eigenanteil finanzieren zu können, sind auch Spenden nötig", sagt Siegrün.