Micky (33) ist seit seiner Geburt blind und schwer behindert. Seine Mutter kümmert sich Tag und Nacht um ihn. Doch sie stößt oft an ihre Grenzen – emotional und finanziell.
Von Hannah Sochor
Geiselhöring. Wenn Micky am Küchentisch sitzt, lacht und gluckst, dann ist seine Mama Nicole Maier glücklich, strahlt ihren „Schatz“ an. Denn dann weiß sie, dass es ihm gutgeht. Und das ist für den 33-Jährigen nicht der Normalzustand. Seit seiner Geburt hat er eine Vielzahl chronischer Krankheiten, sitzt im Rollstuhl, benötigt viel Unterstützung. Tag und Nacht ist seine Mutter für ihn da, wäscht ihn, wickelt ihn, kocht für ihn. Doch auch sie stößt immer wieder an ihre Grenzen.
Schon bei Mickys Geburt hätten die Ärzte damals die Diagnose Grauer und Grüner Star gestellt, erinnert sich Nicole Maier, die eigentlich nicht so heißt und ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. Micky sei sofort in ein anderes Krankenhaus verlegt worden – und baute dann immer weiter ab. „Es war eine schlimme Zeit für uns, wir fuhren von Krankenhaus zu Krankenhaus, von Arzt zu Arzt. Keiner wusste, was ihm fehlt.“ Erst eine lange Zeit später erhielt die junge Familie die Schreckensdiagnose: Adrenogenitales Syndrom mit Salzverlust, eine seltene, angeborene Stoffwechselkrankheit, und Lowe-Syndrom, eine genetische Erkrankung, die das Auge, das zentrale Nervensystem und die Nieren betrifft. Für Micky bedeutet das: Ein Leben, wie andere Menschen es kennen, ist für ihn unmöglich. Blindheit, Rücken- und Hüftprobleme, Muskelschwäche, eingeschränkte Sprach- und Konzentrationsfähigkeit prägen sein Leben. Jede Krankheit, jeder Virus könnte für ihn tödlich sein.
Mickys Leben folgt deshalb einem streng durchgetakteten Rhythmus. Medikamente und Mahlzeiten bekommt er im Zwei- bis Drei-Stunden-Takt. Jede Abweichung kann Stress auslösen und seinen Zustand deutlich verschlechtern.
Er benötigt ein Korsett, Schienen, Spezialschuhe und ein Pflegebett. Ohne diese Hilfsmittel kann er nicht sitzen oder sich ausreichend bewegen, hat Schmerzen. Die Familie hat früh vom Rollator bis hin zum Rollstuhl alles organisiert – inklusive speziell umgebautem Fahrzeug für den Transport.
Der Zusammenhalt in der Familie ist sehr groß
Neben Mama Nicole kümmern sich auch Mickys vier Geschwister und Maiers Lebensgefährte um ihn. Sie helfen mit, wo sie können. Der Zusammenhalt sei groß, erzählt die 49-Jährige. Und das, obwohl es den Kindern nie aufgebürdet wurde, wie Maier mehrfach betont. „Es hieß nie ‚Ihr dürft nicht, weil Micky…‘. Das wäre nicht richtig gewesen.“ Manchmal aber, da sind es kleine Momente, die die Last der Realität besonders spürbar machen. Vor einigen Jahren sei Maier zu einem Elternabend ihrer Tochter gekommen. Im Klassenzimmer hingen die Wünsche der Kinder. „Alle Kinder haben sich Spielsachen oder Haustiere gewünscht. Aber auf dem Bild meiner Tochter stand: ‚Ich wünsche mir, dass mein Bruder nicht mehr krank ist‘“, erzählt sie, Tränen in den Augen, „da wurde mir zum ersten Mal richtig klar, dass die Situation nicht nur mich mitnimmt, sondern auch Mickys Geschwister.
“Sie versuchen, den Alltag möglichst angenehm und normal zu gestalten. Kuscheln mit ihrem Bruder, „manchmal ärgern sie ihn auch etwas, wie Geschwister das eben tun“, sagt Maier und lächelt. Micky selbst hört gerne Hörbücher, besonders Bibi Blocksberg, Hui Buh und Pumuckl stehen hoch im Kurs. Außerdem ist er Fan der TV-Serie „Die Rosenheim-Cops“, liebt Weihnachten und seinen Geburtstag. Wenn sein gesundheitlicher Zustand es erlaubt, fährt er mit seiner Familie nach Altötting. „Kirchen findet er nämlich super. Vor allem, wenn die Glocken läuten“, erzählt Maier. Und auch Essen mag der 33-Jährige gern. Vor allem Joghurt, Pudding. „Weiche Sachen, die er gut schlucken und trotz seiner lockeren Zähne kauen kann.“ Früher, da habe Micky gerne Pizza gegessen. Mama Nicole Maier stockt leicht, die Augen feucht: „Das geht jetzt auch nicht mehr.“
„Sein Zustand wird sich nicht mehr verbessern“
In den vergangenen Jahren habe sich Mickys Zustand zunehmend verschlechtert: Er bekommt in Stresssituationen lebensbedrohliche Addison-Krisen, die durch Kortisolmangel ausgelöst werden. Dann erbricht er sich, ist schwach, bekommt Durchfall. Und auch die Ohren und Augen machen ihm Probleme, eine chronische Mittelohrentzündung bereitet ihm aktuell Schmerzen, er leidet an Osteoporose. Sein Leben ist geprägt von ständigen Arzt- und Krankenhausbesuchen. „Sein Zustand wird sich auch nicht mehr verbessern“, trotz aller Therapien, Operationen, Behandlungen. „Aber sie helfen, damit sich sein Zustand nicht drastisch verschlechtert.“
„Manchmal“, sagt Maier, „ist einfach alles furchtbar schwer, alles wird zu viel. Aber das merke ich erst, wenn ich mit jemandem darüber rede.“ 24 Stunden ist die 49-Jährige im Einsatz, wäscht Micky, wickelt Micky, spricht mit Micky. Ihr ganzes Leben dreht sich um ihren Sohn. Selbst, wenn Micky unter der Woche in die Blindenschule nach Regensburg geht, denkt sie an ihn, betet, dass es ihm gutgeht, dass er keine Addison-Krise bekommt.
Nicht nur die emotionale Last bedrückt Nicole Maier. Auch Geldsorgen plagen die 49-Jährige. Denn obwohl die Krankenkasse einiges übernimmt, bleibt die Familie doch auf einem Haufen von Rechnungen sitzen. „Windeln beispielsweise.“ Denn die werden nicht mehr ganz übernommen. 60 Prozent müssen die Maiers selbst bezahlen. „Aber wir brauchen diese Windeln und Einlagen eben, ohne geht nicht“, betont die 49-Jährige. Vor wenigen Tagen der nächste Schlag: „Langsam gibt unser Trockner den Geist auf. Wir haben ihn schon mehrmals repariert und notdürftig geflickt“, sagt sie erschöpft, „dabei muss ich regelmäßig das Bettzeug von Micky waschen und trocknen.
“Die Familie, allen voran Mutter Nicole Maier, will trotz allem dankbar sein, das Positive sehen: „Eigentlich geht’s uns gut, oder Micky?“, fragt sie ihren „Schatz“, der mit einem breiten, schiefen Lächeln und unruhig zappelnden Händen neben ihr in seinem Rollstuhl sitzt. „Er ist so ein starker Mann, hält so viele Schmerzen aus und ist immer so tapfer. Wir sind froh, dass wir ihn haben.“Mit Geld, das von Freude durch Helfen gesammelt wird, würde die Familie sich gerne einen neuen Trockner und vielleicht ein Tablet für Micky kaufen, auf dem er die Geschichten von Bibi Blocksberg und Pumuckl besser anhören kann.