Michael M. ist schwer krank: Er und seine Familie bauen auf eine Therapie gegen ME/CFS
Von Siegfried Rüdenauer
Egglkofen. Michael M. liegt fast rund um die Uhr im Bett. Das Zimmer ist meistens abgedunkelt. Ein wenig heller wird es, wenn er etwas im Handy sucht oder wenn mal kurz der Fernseher läuft. Zum Essen sitzt er im Bett. Der Gang ins Bad bedeutet etwas Bewegung – und große Anstrengung. „Wenn ich zurück in mein Zimmer komme, bin ich körperlich sehr schwach. Es ist, wie wenn man sich komplett ausgepowert hätte“, sagt er. Michael ist 24. Und er ist schwer krank. Die Krankheit, die ihn seit Ende 2022 ans Bett fesselt und ihm immer wieder aufs Neue den Stecker zieht, heißt ME/CFS.
ME steht für Myalgische Enzephalomyelitis, CFS für Chronisches Fatigue Syndrom. Diese neuroimmunologische, auch als chronisches Erschöpfungssyndrom bezeichnete Krankheit haben deutschlandweit Schätzungen zufolge rund 650.000 Menschen. Im Zuge der Covid-19-Pandemie hat sich bei vielen Patienten aus Long-Covid ME/CFS entwickelt. So war es auch bei Michael M., der sich im Frühjahr 2022 eine Corona-Infektion eingehandelt hatte. Seine Mutter Gabi erinnert sich: „Er hatte einen leichten Verlauf, erst am dritten Tag bekam er unerklärliche Atemnot.“ Sie war so stark, dass er meinte, ersticken zu müssen, sagt seine Mutter. Es sei so heftig geworden, dass sich Horst und Gabi M. entschlossen, ihren Sohn ins Krankenhaus zu bringen.
Übliche tägliche Verrichtungen, die gesunde Menschen nebenher erledigen, strengen Michael M. so an, dass er sich danach lange erholen muss. Das Gespräch mit dem Reporter dauert deshalb nicht mehr als eine Viertelstunde. Dafür schildern Gabi und Horst M. ausführlich, welche Erfahrungen sie seit dem Frühjahr 2022 gemacht haben. Was damals begann, bezeichnet Gabi M. als Auftakt einer wahren Odyssee. Mal kam ihr Ältester in dieses, mal in jenes Krankenhaus. Der junge, vorher durchtrainierte Mann wurde durchgecheckt und mit Infusionen versorgt. „Gefunden haben die Ärzte nichts.“ Unter anderem habe es geheißen, ihr Sohn habe hyperventiliert.
Egal, in welches Krankenhaus und in welche Arztpraxis er kam: Extreme Muskelschwäche, Gliederschmerzen, Kopf- und Bauchschmerzen verschwanden nicht. Zu allem Überfluss kam eine starke Geräusch- und eine Lichtempfindlichkeit hinzu. Gabi und Horst M. versuchten, mit ihrem Sohn anfangs regelmäßig Spaziergänge zu unternehmen. Statt sich zu erholen, sei sein Zustand immer schlechter geworden, weil er sich unbewusst überlastet habe. Diese Überlastungsreaktion nennt man PEM (Post-exertionelle Malaise), das Kernsymptom von ME/CFS „Er wurde immer schwächer, die Spazierrunden wurden immer kleiner“, sagt Gabi M. Der Vorschlag eines Arztes, ihrem Sohn mit Antidepressiva zu helfen, klang wie Hohn. Sie betont, dass ihr Sohn nicht psychisch krank sei.
Eines Tages kam der Hinweis, dass man sich im Klinikum Passau mit der Materie befasse. Dort erhielt er schließlich die Haupt-Diagnose ME/CFS. Horst M.: „Wir waren froh, dass wir für Michael endlich überhaupt eine Diagnose bekommen haben.“ Spätestens jetzt war klar, dass es ein anstrengender Kampf werden würde. Bislang hatte er ja ein fröhliches, aktives Leben geführt.
Früher spielte er Fußball beim FC Egglkofen, später in der Spielgemeinschaft Johannesbrunn/Binabiburg. Im Musikverein blies er Trompete, und er war Ministrant in Egglkofen. Oft und gern ist Michael M. mit seinem Motorrad unterwegs gewesen. „Wir haben einige Touren zusammen unternommen“, sagt sein Vater Horst, der selbst begeisterter Motorradfahrer ist. Bis vor seiner Krankheit habe er überdies ein akribisches Fitnesstraining absolviert.
„Der Michael ist voll im Leben gestanden“, sagt Gabi M. Er sei immer zielstrebig, korrekt und gewissenhaft gewesen. Diese Eigenschaften seien ihm als Industriemechaniker bei ZF in Aschau zupassgekommen. „Seine Gesellenprüfung war so gut, dass er ein Stipendium bekommen hätte – aber dann kam die Krankheit.“ Zwischendurch war ME/CFS so heftig, dass Michael M. nicht mehr sprechen konnte. Jetzt kann er wieder reden und selbständig essen.
Seit einigen Monaten macht der 24-Jährige eine Immunglobulin-Therapie (Ivig-Therapie). Die Egglkofener Familie setzt deshalb große Hoffnungen in die Berliner Charité, wo die stellvertretende Leiterin des Instituts für Medizinische Immunologie, Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen, mit ihrem Team an der Entfernung von Auto-Antikörpern forscht. Mit der auch Immunadsorption genannten Methode werden Patienten zwar nicht geheilt, aber bei vielen, auch bei Michael M., werden die Symptome kurzfristig gelindert. Eine Studie mit dem Medikament Uplizna werde seit zwei Jahren systematisch von einzelnen Gutachtern blockiert, obwohl dieses Medikament in Off-Label-Heilversuchen bei schwer Betroffenen zur vollständigen Remission geführt habe. Das bedeutet, dass die Krankheitssymptome für eine gewisse Zeit oder ganz verschwinden. Michael M. und die Forscher fragen sich, ob das Schicksal von mehr als 600.000 Betroffenen von einem Gutachter abhängen dürfe, der die Studie seit zwei Jahren nicht genehmige. Gabi und Horst M. sagen, dass sie die Ivig-Therapie selbst bezahlen müssen, weil das entsprechende Medikament bislang nicht für ME/CFS zugelassen ist. Weil sich beide um ihren Sohn kümmern, gehen sie momentan nicht mehr ihrem Beruf nach. Die Ersparnisse sind nahezu aufgebraucht.
Manche Erkrankte sehen keinen Ausweg mehr
Michael M. sagt, dass es Menschen gebe, die so schwer erkrankt seien, dass sie als letzten Ausweg Suizid wählen. Er selbst versuche durchzuhalten, bis ein Medikament auf dem Markt ist, das ihn und Tausende andere heilen kann. Große Hoffnung setzt er in das vom Bundesforschungsministerium ausgerufene Projekt gegen „postinfektiöse Erkrankungen“, für das zehn Jahre lang 50 Millionen Euro zur Verfügung stehen sollen. Die Eltern von Michael M. haben einen großen Wunsch: dass ihr Sohn wieder am Leben teilnehmen und mit seinen drei Geschwistern und den Eltern ein normales Familienleben führen kann. Eine Spende aus Freude durch Helfen könnte dazu beitragen, sich mit der Therapie erst einmal weiter zu stabilisieren. Seinen größten Wunsch beschreibt Michael M. so: „Ich will gesund werden, damit ich wieder raus kann, um Freunde zu treffen. Und ich will endlich wieder Sport machen, arbeiten und Motorradl fahren.“