Von Doris Zitzelsberger
Bad Kötzting. Isena M. (Name von der Redaktion geändert) ist alleinerziehende Mutter, sie lebt mit ihrer Tochter und ihrem Sohn in einer Drei-Zimmer-Wohnung in Bad Kötzting (Landkreis Cham) und arbeitet in einem Unternehmen in der Umgebung. Sie malt und kocht gerne und hängt an ihren verschmusten Katzen, die auch während unseres Gesprächs maunzend um ihre Beine streichen. Was nach einem „normalen“ Leben klingt, ist für die Irakerin aber alles andere als selbstverständlich. Es war ein langer Weg, bis sich die 32-Jährige in Deutschland eine eigene Existenz aufgebaut hat. Im Rahmen unserer Spendenaktion „Freude durch Helfen“ erzählt Isena ihre Geschichte.
Die junge Frau stammt aus Bagdad, der Hauptstadt Iraks, die mehr als 7,6 Millionen Einwohner zählt. Isena wächst in dieser Metropole gemeinsam mit vier Brüdern und vier Schwestern auf – ihre Familie ist relativ gut situiert, der Vater besitzt drei Autowerkstätten.
Mit 14 wird Isena verheiratet. Ihr Mann ist 27
Frauen im Irak haben im Vergleich zum Nachbarstaat Iran mehr Rechte, erzählt sie: „Frauen müssen sich nicht verschleiern oder brauchen kein Kopftuch tragen, sie können theoretisch Auto fahren und einen Beruf lernen.“ Aber in der Praxis bestimmen letztendlich dann doch immer die Väter oder Ehemänner, was eine Frau tun darf und was nicht. Und das ist in den meisten Fällen: daheim bleiben und sich um Familie und Haushalt kümmern.
Auch für Isena wird eine Heirat arrangiert. Zu diesem Zeitpunkt ist sie erst 14 Jahre alt, ihr Ehemann 27. Um die Trauung zu ermöglichen, fälschen die Eltern den Pass ihrer Tochter. Auf dem Papier ist das Mädchen vier Jahre älter und somit volljährig. Mit 15 wird sie Mutter einer Tochter, zwei Jahre später kommt ihr Sohn zur Welt.
Das Leben vieler Menschen im Irak ist geprägt von wirtschaftlicher Instabilität, von schwelenden Konflikten und ihren verheerenden Folgen. Der Glaubenskrieg zwischen Schiiten und Sunniten währt seit Langem, die Ressentiments gegeneinander sitzen tief. Zusätzlich verschärfen die Folgen des Klimawandels die Lage im Irak.
Die Angst vor Terror und Übergriffen beherrscht den Alltag in Bagdad: Isena ist Mitte 20, als die Familie beschließt, in die Türkei zu ziehen. Auch ihre Eltern kommen mit – nachdem der Betrieb des Vaters mehrmals ausgeraubt wurde.
Die Türkei soll nur eine Zwischenstation bleiben, vor allem Isena träumt davon, in Europa einen Neuanfang zu wagen. Ihr Mann dagegen möchte nach zwei Jahren in der Türkei wieder in den Irak, er willigt in die Scheidung ein und lässt seine Ex-Frau ziehen.
Für Isena und ihre Familie beginnt eine lange, gefährliche Reise: Gemeinsam mit anderen Flüchtlingen setzt man in einem viel zu kleinen Schlauchboot nach Griechenland über, dann geht es teilweise zu Fuß, teilweise mit Bus oder Zug quer durch die Balkanländer, bis eines Tages Deutschland erreicht ist. Seit rund sieben Jahren lebt die zweifache Mutter nun in Bad Kötzting. Ihre erste Anlaufstelle war die Flüchtlingsunterkunft im Alten Krankenhaus, vor Kurzem zog sie mit ihren Kindern in eine Wohnung. Sowohl ihre Tochter als auch ihr Sohn sprechen fließend Deutsch, beide besuchen die Schule und haben Freunde gefunden. Isena selbst sei es nicht ganz so leicht gefallen, sich die neue Sprache anzueignen, räumt sie ein. Aber ihr Deutsch reicht aus, um sich im Alltag zurechtzufinden.
Den Unterhalt für sich und ihre Kinder bestreitet sie selbst: Sie arbeitet in der Gastronomie und seit rund vier Monaten in einer Fabrik im Altlandkreis Kötzting. Wie viele andere Alleinerziehende muss aber auch Isena trotz eines regelmäßigen Einkommens jede Investition gut überlegen. Ein größeres Loch in die Finanzen reißen die Ausgaben für die Küche, die sie beim Einzug von ihren Vormietern ablösen muss. Von den Zuwendungen aus unserer Spendenaktion „Freude durch Helfen“ könnte sie dieses Loch schneller flicken.
Nach wie vor lauern im Alltag so manche Schwierigkeiten oder Sprachbarrieren – aber aus dem Mädchen, das bereits als Kind zur Ehe gezwungen wurde, ist eine selbstbewusste Frau geworden: „Ich kann das, ich schaff’ das“, lautet ihr Mantra. Als 2020 ihr Vater, der in Deutschland nicht Fuß fassen kann, wieder in den Irak zieht und Isena zum Mitkommen überreden will, weigert sie sich konsequent: „Meine Zukunft liegt in Deutschland“, betont sie.