„Lebenslange Flucht in die Freiheit“

Das Leben von Emina S. ist gezeichnet von Gewalt und Unterdrückung. In einem Frauenhaus fühlt sie sich zum ersten Mal angekommen und beschützt

Emina S. musste ihr ganzes Leben lang Gewalt und Unterdrückung erfahren. Trotzdem traut sie sich, ihre Geschichte zu erzählen. Foto: Franziska Hirsch

Von Laura Mies

In meinem Leben habe ich mich noch nie so sicher gefühlt, wie hier im Frauenhaus. Hier bin ich endlich bei mir selbst angekommen“, sagt Emina S. ( Name von der Redaktion geändert ). Mit gläsernem Blick sieht sie ihre Patin an, das ganze Gespräch über hält Emina ihre Tränen zurück. Sie versucht, wie schon so oft in ihrem Leben, all den Schmerz, den sie erlebt hat, zu unterdrücken und Stärke zu beweisen.

Um zu verstehen, warum Emina das über einen Ort eines fremden Landes sagt, dessen Sprache sie nicht spricht, muss man Jahrzehnte früher beginnen, ihre Geschichte zu erzählen. Sie wächst auf in Osteuropa. Von Beginn an sind Männer in ihrem Leben etwas Negatives, Bedrohliches. Ihr Vater ist streng, schlägt sie und erlaubt ihr nicht, eine Schule zu besuchen. Bis heute kann Emina weder lesen noch schreiben. „Mit 15 hat mich mein Vater an einem Mann verkauft, der da schon sechs Kinder hatte“, erzählt sie.

Zehn Jahre lang lebt sie mit ihm in einem Nachbarland ihrer Heimat. Zwangsverheiratet, mit einer Familie, der sie sich nicht zugehörig fühlt. Dann bricht dort Krieg aus. Ein Krieg, der viele Menschen voneinander trennt, Familien zerstört, Leben ruiniert. Vielen wird die Freiheit geraubt – Emina wird sie geschenkt. Ihr gelingt es Ende der Neunziger, zurück in ihre Heimat zu fliehen. Sie legt ein vergilbtes, zerrissenes Dokument auf den Tisch, das sie selbst nicht lesen kann. Eine Bescheinigung für ihre Flucht aus einem Land und einer Familie, wo Krieg herrscht.

Mann beginnt, sie zu misshandeln

Zurück in ihrer Heimat gibt es für sie kein Zuhause. Vorübergehend kann sie bei ihrer Tante unterkommen. Kurz darauf lernt sie den Mann kennen, mit dem sie drei Kinder bekommen und ihm 23 Jahre später nach Deutschland folgen wird. Eminas Hoffnung, jetzt endlich ein neues, glückliches Leben führen zu können, soll schon bald erschüttert werden. Auch dieser Mann beginnt, sie zu misshandeln, später auch ihre Kinder. Dokumente, die die Gewalttaten ihres Mannes attestieren, wird er später vernichten.

Der Familiennachzug erfolgt im Juni letzten Jahres. Mit zwei der gemeinsamen Kinder zieht sie ihrem Mann hinterher, der in Deutschland bereits seit einiger Zeit arbeitet. Ihre älteste Tochter muss sie in der Heimat zurücklassen. Sie darf nicht mitkommen, da sie mit 18, als erwachsene Person, nicht dazu berechtigt ist. Die Familie wohnt von dort an in einer Wohnung im Umkreis – in deren vier Wänden der Mann oft die Faust gegen seine Frau erhebt.

Im Dezember 2022 eskaliert die Situation, es spielen sich dramatische Szenen zwischen dem Paar vor den Augen der Kinder ab. Emina fällt es schwer, davon zu erzählen. Schon ein paar Tage zuvor wird der Mann seiner Tochter gegenüber sehr laut. Die Mutter geht dazwischen „Ich weiß, was du mit mir gemacht hast, das wirst du meiner Tochter nicht antun“.

„Ohne meine Kinder hätte ich nicht so viel gekämpft“

Zehn Tage später kommt es wieder zu einem heftigen Streit, als der Mann Emina gegenüber gewalttätig wird. Die Situation spitzt sich so sehr zu, dass die Kinder dazwischen gehen müssen. Die Tochter ruft aus Angst die Polizei. Emina gelingt es, mit den Kindern aus der Wohnung zu fliehen. „Ohne meine Kinder hätte ich nicht so viel gekämpft“, erzählt sie.

Die Polizei bringt die Familie in ein Frauenhaus, nachdem der Mann angekündigt hat, trotz Verbot wieder in die Wohnung zu kommen. Seitdem wohnt sie geschützt in der Anlaufstelle. Ihr Zimmer ist etwa 15 Quadratmeter groß, darin steht ein Bett, ein Stockbett, ein Schrank und ein Schreibtisch. So eng der Wohnraum auch scheint, so frei fühlt sich Emina dort – zum ersten Mal in ihrem Leben.

Ein müdes, hoffnungsvolles Lächeln stiehlt sich in ihr dezent geschminktes Gesicht, als sie von ihren Wünschen erzählt. „Ich möchte unbedingt arbeiten, mal rauskommen, mein Leben selbst bestreiten“. Doch als Analphabetin ist das in Deutschland kaum möglich. Sie möchte Lesen und Schreiben lernen, endlich die Sprache sprechen können. Für den Onlinekurs braucht sie ein Tablet, das sie sich momentan nicht leisten kann. Auch das Frauenhaus muss sie irgendwann verlassen, doch eine Wohnung scheint im Moment schier unbezahlbar. Wo sie am liebsten wohnen würde? „Direkt neben meiner Patin Frau H. Sie hat mir so sehr geholfen, ich bin ihr dankbar für immer.“