Albert Billert (72) wohnt jahrelang in einem Wörther Seniorenheim, bis ihn der Betreiber im September zwangsräumt. Seitdem lebt er in einer Notunterkunft – auf unbestimmte Zeit.
Von Simon Rothfischer
Wörth an der Donau. In seiner Notunterkunft ist Albert Billert meist nur zum Schlafen. Die meiste Zeit verbringt der 72-Jährige bei Tommy. Vor mehreren Jahren ist ihm der schwarz-weiß gescheckte Kater zugelaufen. Seitdem besucht er ihn mehrmals am Tag am Schlossberg, füttert ihn. Auch jetzt, obwohl seine Notunterkunft am anderen Ende der Stadt liegt. Der Kater gibt ihm Kraft. Auch, weil sie ein trauriges Schicksal verbindet: Beide haben ihr Zuhause verloren.
Seit 1. September lebt Billert in der Notunterkunft der Stadt Wörth an der Donau: ein fünf Quadratmeter großes Zimmer im Dachgeschoss eines Mehrfamilienhauses. Es gibt ein Bett und eine Couch. Zum Kochen hat Billert eine Mikrowelle. Auf Stühlen liegen Lebensmittel und Kleidung, auf der Couch ein Zeitungsstapel. Um sich abzulenken, von seinem einsamen Alltag – und der Frage, wie es weitergeht.
„Habe Zukunftsangst, dass ich hier immer leben soll“
Manche Nächte liege er schlaflos im Bett. „Ich habe Zukunftsangst, dass es nicht mehr weitergeht. Dass ich hier für immer so leben soll“, sagt der 72-Jährige. Seine Stimme zittert, Tränen kullern über sein Gesicht in den schneeweißen Rauschebart. Er hat ihn mit Schere und Einmalrasierer gestutzt. Mehr sei bei den knapp über 500 Euro, die er monatlich vom Staat zum Leben bekommt, nicht drin. Dabei ist Billert gelernter Diplom-Kaufmann, arbeitet mehrere Jahre in leitender Position im Lebensmittelgroßhandel. Später macht er sich mit zwei Partnern selbstständig, das Geschäft läuft gut. Heute zählt er vor jedem Supermarkteinkauf das Geld. Wie konnte er so tief fallen?
„Es lief gut, bis wir falsch mit Aktien gehandelt haben“, sagt Billert. Nach dem Aktienflop ist nahezu sein gesamtes Vermögen weg. Um das Jahr 2000 meldet seine Firma Insolvenz an, dann trifft Billert der nächste Schicksalsschlag: Seine Eltern erkranken, auf Anraten der Ärzte kommen sie in ein Pflegeheim bei Cham.
Billert ist Einzelkind, hängt an seinen Eltern. Knapp sieben Jahre pendelt Billert „jeden Tag“ zwischen seinem Zuhause in Wenzenbach und Cham.2007 zieht sein Vater ins Seniorenheim auf Schloss Wörth, 2008 dann seine Mutter. Billert versucht, sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten. Doch eigentlich steht es ihm längst bis zum Hals. Seine Insolvenz, die Arztkosten für seine Eltern, offene Rechnungen: Sein Elternhaus bei Wenzenbach wird zwangsversteigert. Mit dem Geld kann er zwar seine Schulden begleichen, aber nichts zurücklegen. Der Rest geht drauf für Miete, der neue Eigentümer lässt Billert im Haus weiterwohnen, bis er nicht mehr zahlen kann. Dann wird er zwangsgeräumt.
In diesem Jahr passiert es erneut. Seit 2013 wohnt Billert auf Schloss Wörth, ist registrierter Bewohner. Der Bezirk bezahlt seine Unterbringung, bis es zwischen dem Betreiber und Billert kriselt. 2023 kündigt ihm der Hausherr. Doch Billert weigert sich, auszuziehen. Mehrmals wird die Kündigung aufgeschoben, bis am 1. September die Gerichtsvollzieherin vor seiner Tür steht.
Drei Einkaufstaschen mit dem Wichtigsten darf er in die städtische Notunterkunft mitnehmen. Der Rest von seinem Besitz wird eingelagert – und teilweise zwangsversteigert. „Ein drittes Mal passiert mir das nicht mehr“, sagt Billert.
Mit seinem Schicksal hat er abgeschlossen. Trotzdem hofft er weiter auf seine Mitbürger, dass sich jemand erbarmt. Freunde, Verwandte, Kinder, die ihm helfen könnten, hat er nicht. Es gibt nur ihn – und seinen Kater Tommy.
Bei ihm wird er wohl auch das Weihnachtsfest verbringen, sein sehnlichster Wunsch: „Ein kleines Appartement und Arbeit, dass ich mir einen Döner leisten kann.“ Neben der Miete möchte sich der 72-Jährige aktiv einbringen. Etwa durch Hausmeistertätigkeiten. „Das Alleinsein macht mich fertig.“ Doch bislang hat sich niemand gemeldet.
Eigenständigkeit als wichtiger Punkt
Alternativ könne er sich auch eine Unterbringung in einem Seniorenheim mit Betreutem Wohnen vorstellen. Eigenständigkeit sei ihm wichtig, sagt Billert. Mit einem Bekannten kontaktiere er momentan Heime in der Region, doch eine Lösung sei bislang nicht in Sicht.
Das Geld, das mit Freude durch Helfen zusammenkommt, will Billert sparen für einen Neustart außerhalb der Notunterkunft. Für die Miete, aber auch für Kleidung, Kühlschrank, Waschmaschine und ein neues Rad, erzählt Billert. Er träumt von einem E-Bike, um Besorgungen zu machen und seinen Kater zu besuchen. Den würde er am liebsten in seine neue Unterkunft mitnehmen. „Der gibt mir so unbandig viel, ich kann ihn nicht zurücklassen.“