Eine 72-Jährige braucht dringend eine Gehhilfe, doch das Geld fehlt. Sie ist kein Einzelfall: Zahlreiche Betroffene müssen aus finanziellen Gründen auf medizinische Hilfsmittel verzichten.
Von Petra Schneider
Moosburg.
Hilde Anger (Name geändert) hat eine schwere Gehbehinderung. Mehrere gesundheitliche Schicksalsschläge haben sie getroffen. Ihr größter Wunsch ist ein Rollator. Er würde ihr sicheren Halt geben und wieder mehr Eigenständigkeit im Leben. Doch die 72-Jährige kann sich die ersehnte Gehhilfe nicht leisten.
Mit einem Hüftleiden war Hilde Anger schon auf die Welt gekommen. Die Muskeln im linken Bein sind von klein auf verkürzt. Zur damaligen Zeit wurde das einfach hingenommen, die Eltern gingen mit der Tochter nicht zum Arzt. Sie arrangierte sich mit dem Problem, konnte immerhin radfahren und auch am Schulsport teilnehmen. Im Laufe der Jahre nahmen die Schmerzen zu, als sie schließlich einen Arzt konsultierte, war sie 24 Jahre alt. Mehrere Male sei sie geröntgt worden. Dann stand fest: Auf einer Seite glitt der Hüftkopf nicht in der Hüftpfanne, sondern war ins Fleisch gewachsen. Über 40 Jahre litt Hilde Anger Beschwerden, vor 13 Jahren erhielt sie eine neue Hüfte mit einer künstlichen Hüftschale.
Dann trafen sie zwei Gehirnschläge. Seitdem hat sie immer wieder mit Gleichgewichtsproblemen zu kämpfen. Unebenheiten auf dem Weg kann sie nur schwer erkennen, erzählt sie unserer Redaktion. Zwei Mal sei sie schon gestürzt. Ohne Halt kann sie sich nicht fortbewegen. Zwei Krücken sind ihre Begleiter. Zum Glück hat sie ihren Ehemann an der Seite. Er stützt sie, wenn sie unterwegs sind. Stufen ohne Geländer sind für die 72-Jährige ein unüberwindbares Hindernis, weil sie sich nicht einhalten kann. Auch bei der Bewältigung des Alltags ist Franz Anger (Name geändert) seiner Frau eine große Hilfe. Zum Beispiel duschen, Socken anziehen, Schuhbänder binden – sie braucht ihn dafür. Dazu erledigt er viele Tätigkeiten im Haushalt. Hilde Anger: „Ich kann zum Beispiel zum Fenster putzen auf keine Staffelei steigen.“
Eine Knie-OP brachte bislang nicht die erhoffte Erleichterung. Hilde Anger bekommt Massagen und Lymph-Drainagen. Und dann erlitt sie auch noch einen Augeninfarkt, zwei Augen-OPs waren die Folge. Dazu leidet sie an Herzflimmern.
Trotz all ihrer Schicksalsschläge hat die 72-Jährige aus der Gemeinde Haag an der Amper nie aufgegeben, am sozialen Leben teilzuhaben. Sie kümmert sich um den Enkel, ist ehrenamtlich vielseitig engagiert. Ihr großer Wunsch wäre ein Rollator, damit sie sich, wenn sie draußen unterwegs ist, sicher fühlen kann.
Der Standard-Rollator, den die Kasse finanziell übernehmen würde, ist für sie zu schwer. Sie benötigt eine Gehhilfe, die sie leicht zusammenklappen und leicht heben kann, mit einem Sitz, damit sie sich immer wieder auf dem Weg ausruhen kann. Mit einem solchen Rollator wäre sie unabhängiger. Sie könnte dann wieder selbst Auto fahren und alleine in die Stadt. Doch einen Rollator mit spezieller Ausstattung müsste Hilde Anger bis auf eine gewährte Kassenzuzahlung in Höhe von 117 Euro selbst zahlen. Das kann sie nicht leisten.
Die karge Rente reicht nicht für alles
Nach ihrer Schulzeit hatte sie in einem Altenheim in der Pflege gearbeitet. Trotz ihrer Gehbehinderung stemmte sie tagtäglich die schwere körperliche Arbeit. Sie arbeitete gegen Kost und Logis. Sie erhielt lediglich 70 D-Mark im Monat. Später war sie immer daheim, ganz für ihre Familie da, ihre Rente ist karg. Mit dem Geld, das sie und ihr Mann zur Verfügung haben, bestreiten sie ihren Lebensunterhalt und die vielen Zuzahlungen für die Medikamente und medizinischen Leistungen.
Hilde Anger ist kein Einzelschicksal. Das weiß Uta Demmin-Berger leider nur zu gut. Die Vorsitzende vom VdK-Ortsverband Moosburg kennt viele Menschen im Einzugsgebiet, die sich notwendige Hilfsmittel kaum oder gar nicht aus eigener Tasche leisten können. Für sie ist es unverständlich, dass immer wieder, auch zum Teil hochbetagte Rentner, nur Pflegegrad 1 erhielten. Anspruch auf Pflegesachleistungen hat der Betroffene dann nicht.
Auch Hilde Anger wurde gutachterlich nur der Pflegegrad 1 zugestanden, was per Definition eine „geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit“ bedeutet. Dabei ist sie die meiste Zeit am Tag auf die Hilfe ihres Mannes angewiesen.
„Den Betroffenen wird nicht zugestanden, was sie benötigen“, sagt Uta Demmin-Berger. Was ihnen bleibt, ist bei der Pflegeversicherung Widerspruch einzulegen. Krank zu sein, sei doch schon eine Belastung. Umso schlimmer, wenn dann noch die finanzielle dazukomme. Mit dem Dialog-Raum in Moosburg hat Demmin-Berger ehrenamtlich eine Anlaufstelle geschaffen. Er ist jeden Dienstag von 10 bis 12 Uhr geöffnet. Die Anlaufstelle erfährt starken Zulauf. Die Menschen kommen mit ihren Sorgen und Ängsten. Die Ortsvorsitzende, „will diese Leute nicht aus dem Blick verlieren“. Sie würde sich sehr mitfreuen, wenn Hilde Anger dank einer Spende den erhofften Rollator bekommt. Die ganze Familie habe schon sehr viel durchgemacht im Leben, und es werde für sie nicht leichter. Ein Rollator wäre eine Hilfe von unschätzbarem Wert.