Wenn es für ein Geschenk nicht reicht

Der Wunsch eines Achtjährigen: ein Legobauset. Foto: Martina Schneider-Welser
Schicksale schreiben Wünsche: Kindern Freude schenken und soziale Teilhabe ermöglichen
 
Von Petra Schneider
 
Moosburg. „Achtjähriger Junge wünscht sich ein Legobauset. Danke!“ – So steht es auf einer lila Kugel, ausgeschnitten aus Pappe, am Wunschweihnachtsbaum in der Schalterhalle der Sparkasse in Moosburg. Ein Bürger nimmt den Wunsch vom Baum. Er möchte ihn dem Kind erfüllen. Es ist einer von über 80 Wünschen, die die Aktion „Kinder in Not“ gesammelt hat. Jeder Wunsch erzählt ein Einzelschicksal, erzählt von einer Familie, die in den vergangenen Jahren viele Tiefen und wenige Höhen erfahren hat.
 
Karin Postler (alle Namen von der Redaktion geändert), ist alleinerziehend, ihre Tochter Hannah (12 Jahre alt), ihr Sohn Leon (8) haben beide ADHS. Der Vater der Kinder ist auf und davon in sein Heimatland zurückgekehrt. Karin Postler ist über die Trennung froh, die Familie hatte schlimm unter seinen Aggressionen gelitten. Doch Wohnungsmiete, Auto, Versicherung, Zuzahlungen für die Medikamente der Kinder, all das muss sie von ihrem eigenen Geld bestreiten. Ihren Kindern einfach mal etwas zu kaufen, das ihnen Freude bereitet, kann sie sich nicht leisten.
 
Die 33-Jährige arbeitet in der Altenpflege – 32 Stunden in der Woche. Mehr Stunden gingen noch mehr zulasten ihrer Kinder. „Sonst sehe ich meine Kinder gar nicht mehr“, sagt sie. Tochter Hannah ist oft allein zuhause, die Mutter von Karin Postler kann sie bei den Kindern kaum unterstützen. Die Frührentnerin hatte bereits den dritten Schlaganfall. „Wir müssten ihr mehr helfen, als sie uns helfen kann.“ Allein die Zeit fehlt. In die Arbeit fahren, die Kinder zu Therapien nach Landshut bringen, die Fahrten zur Schule beziehungsweise Tagesstätte, einkaufen – und wenn dann noch Unerwartetes dazwischen kommt.
 
Sohn Leon hatte einen sehr schweren Start ins Leben. Nicht nur, dass er als Baby die schlimmen Aggressionen seines Vaters mitbekam. Er erkrankte lebensbedrohlich am RS-Virus. Ärzte hätten dies zunächst nicht erkannt, sagt Karin Postler, hielten es für eine Erkältung. Nur zu inhalieren, half nicht, die Atemwegserkrankung schritt voran. Jederzeit konnte es zu Atemstillständen kommen. Als Leon schließlich ins Krankenhaus kam, drohten seine Organe nicht mehr zu funktionieren. Er bekam Infusionen. Es dauerte lange, bis Leon wieder stabiler wurde.
 
Ein Fahrrad fürs Kind war der Mama so wichtig
 
Doch kaum zurück im Leben, musste der Bub wieder kämpfen. Nach einer Mandel-OP bekam er plötzlich Fieber. Die Wunde hatte sich entzündet. Da war er schon wieder daheim bei seiner Mutter. Sie rief den Notarzt. Das Antibiotikum konnte der Bub kaum schlucken. Wenige Tage später spuckte er Blut. Auf der Intensivstation im Krankenhaus erhielt er Bluttransfusionen.
 
Leon erholte sich, was ihm geblieben ist, ist ein Trauma, ausgelöst, wie Therapeuten meinen, von den Aggressionen des Vaters, der die Familie geschlagen hat, wie Karin Postler erzählt. Tochter Hannah ginge es soweit gut, sie habe die Erlebnisse besser verarbeitet. Allerdings hat sie ADHS, genauso ihr Bruder. Hannah geht auf die Mittelschule. Wegen Leons Entwicklungsverzögerungen, Lernschwierigkeiten und manchmal aggressivem Verhalten hat Karin Postler eine Odyssee hinter sich.
 
In speziellen schulischen, heilpädagogischen Einrichtungen fand sie keinen Platz für ihn, zum Teil scheiterte es auch an einer Schulbegleitung. Ein halbes Jahr blieb Leon daheim. Seine Mutter nahm ihn mit in die Arbeit. Dort in der Tagespflege mit den alten Menschen zu spielen, habe ihm gefallen. Mittlerweile kann der heute Achtjährige einen eigenen guten schulischen Weg gehen. Er besucht ein Sonderpädagogisches Zentrum und eine Heilpädagogische Kindertagesstätte. Dort hat er das Fahrradfahren gelernt. Damit er auch daheim fahren konnte, wollte seine Mutter ihm ein Fahrrad kaufen. Das war ihr „ganz wichtig“ gewesen, das musste finanziell „irgendwie klappen“. Leon bekam das Fahrrad. Allerdings blieb es damit für ihn bei nur einem Geschenk, für Weihnachten und seinen Geburtstag im Januar zusammen.
 
Karin Postler würde sich wünschen, jedem ihrer Kinder gerne zu dem einen Geschenk, das sie sich nur leisten kann, ein zweites unter den Weihnachtsbaum zu legen.
 
Die Heilpädagogische Tagesstätte gehört wie einige Kindergärten und Schulen zu den Einrichtungen, die immer wieder bei der „Wunschweihnachtsbaum“-Aktion mitmachen und Wünsche von Kindern anonymisiert einreichen. Vor 20 Jahren war dies der erste Wunschweihnachtsbaum im Landkreis Freising. Seitdem ist er wohl der Bekannteste. Organisiert wurde er jedes Jahr von Ferdinand Winterstötter, Initiator der Hilfe „Kinder in Not“ in Moosburg, und einem kleinen, leisen Team an seiner Seite.
 
Winterstötter war und ist es ein Anliegen, das auch in finanziell schwächer gestellten Familien am Heiligen Abend die Kinderaugen vor Freude leuchten. Wünsche nach Winterbekleidung versuchte er immer vorher aus dem Finanztopf seiner Aktion „Kinder in Not“ zu erfüllen, denn die warmen Sachen würden ja schon vor Heiligabend benötigt.