Von Simon Stadler
Landkreis Regensburg. Antonia ist ein eher verschlossenes Mädchen, doch sobald sie auf dem Pferderücken sitzt, blüht sie auf. Die Augen glänzen, die Mundwinkel gehen nach oben. Therapeutin Simone Pfab wirft Antonia einen hellgrünen Ball zu, sie fängt ihn, wirft ihn wieder zurück. Klappt einwandfrei.
Es ist ein Novembermorgen auf einem Reiterhof bei Wolfsegg im Landkreis Regensburg; aus den umliegenden Wäldern steigt Dunst. Der Verein für körper- und mehrfachbehinderte Menschen Regensburg (vkm) hat hier drei Pferde eingestellt. Antonia kommt sehr gerne, die Reittherapie für Kinder mit Behinderung bereitet ihr sichtlich Spaß. Oben auf der Empore, bei Kaffee und einem Stück Kuchen, schaut Antonias Vater zu. Die 30-minütigen Einheiten seien sehr hilfreich, sagt er. Die Therapie verbessere Antonias Koordination und ihre Körperspannung. „Das Reiten ist ihr Ding.“
Und damit ist Antonia nicht alleine. Ungefähr 50 Kinder ab vier Jahren aus dem Großraum Regensburg kommen regelmäßig zur Reittherapie oder zu Ferienfreizeiten und Aktionen. Auch Jugendliche und junge Menschen sind hier, teilweise sogar Erwachsene bis hoch ins Seniorenalter. „Denn mit der Volljährigkeit ist die Behinderung ja nicht verschwunden“, sagt Christa Weiß, die Vorsitzende des vkm.
Dass Reiten nicht nur Spaß macht, sondern behinderten Menschen ganz konkret und sichtbar hilft, das bestätigt jeder hier. Da ist zum Beispiel Steffi, eine junge Frau, die bereits seit zwölf Jahren mitmacht. Das Reiten entspannt sie, lockert sie auf. Die Schmerzen, die sie wegen ihrer Spastik verspürt, sind nahezu weg beim Reiten, berichtet sie. Auf dem Pferderücken trainiert sie mit Therapeutin Miriam Hagl auch ganz gezielt ihr Kurzzeitgedächtnis. Steffi ist eine ehrgeizige Reiterin, sie will anspruchsvolle Figuren und Schrittfolgen meistern – und schafft das auch.
„Wir haben da eine Erdung reinbekommen“
Auch Max (Name geändert) tut das Reiten sichtlich gut. Sein Vater erzählt: „Das festigt ihn mental. Wir haben da eine Erdung reinbekommen. Es geht ihm besser dadurch, definitiv.“ Der Kontakt mit Tieren beschere Max Lebensfreude, neue Anreize und Spaß.
Der vkm ist sich der segensreichen Wirkung der Tiertherapie bewusst – und plant daher langfristig ein Objekt, das als Leuchtturmprojekt und als Besonderheit in Ostbayern gelten darf. Die Rede ist von Theo, dem Zentrum für tiergestützte Therapien Ostbayern. Die Idee rührt daher, dass Reiterhöfe rund um Regensburg generell Mangelware sind und es die nötigen Räume, Möglichkeiten und die passende Ausstattung auf Freizeit-Reiterhöfen in der Regel nicht gibt. Deshalb soll ein eigenes Zentrum entstehen, das für Einzel- und Gruppentherapien geeignet ist. Zum Einsatz sollen Pferde kommen, aber auch andere Tiere: zum Beispiel Alpakas, Schafe, Esel, Kaninchen, Gänse, Hühner oder Meerschweinchen. Geplant sind eine Reit- und Mehrzweckhalle, Boxen, Koppelflächen, Ställe. Auch Räume für die Diagnostik und Gesprächsräume für die Vor- und Nachbereitung sind vorgesehen. Der vkm würde dann in Teil- und Vollzeit Personal anstellen.
Dieses Projekt braucht Platz. Und es kostet Geld. Geplant ist das Therapiezentrum auf einem knapp vier Hektar großen Grundstück in der Gemeinde Zeitlarn im Landkreis Regensburg. Die Lage am Rand eines Gewerbegebiets und nahe am Wald sei für das Vorzeigeprojekt bestens geeignet, sagt Christa Weiß. Die Gesamtkosten sind mit gut vier Millionen Euro veranschlagt – der vkm ist auf Spendengeld in erheblichem Umfang angewiesen, das Projekt steht noch am Anfang.
Zurück im Reitstall in Wolfsegg, Reittherapeutin Miriam Hagl hat gerade einem behinderten Buben vom Pferd heruntergeholfen, die Einheit ist für heute zu Ende. Das Besondere an dieser Form der Therapie bestehe darin, erklärt Hagl, dass Kinder den Umgang mit Tieren nicht als Aufforderung wahrnehmen, nicht als Pflicht. Sie treten automatisch und gerne in Interaktion mit den Vierbeinern, ohne etwas sagen zu müssen. Hagl erzählt, dass es zum Beispiel für Kinder im Rollstuhl ein ganz besonderes Gefühl sei, auf einem Tier zu reiten. Sie bekommen tief im Inneren ein Gefühl dafür, gehen zu können, voranzukommen. Und sie spüren, dass sie steuern, dass sie selbstständig sind und aktiv. Es komme auf verschiedenen Ebenen zu einer Kommunikation mit dem Tier. Hagl wechselt – je nach Kind – zwischen verschiedenen Therapieansätzen durch: Übungen von leicht bis komplex; zum Teil nimmt sie Bälle oder Hütchen mit hinein. Und dann muss sie auch wieder weitermachen. Am Eingangstor der Reithalle wartet schon das nächste Kind mit Behinderung. Gut was los.